[20]
(1) Diviacus, unter vielen Tränen Caesar umarmend, begann ihn zu beschwören, er möge nicht zu streng gegen seinen Bruder vorgehen.
(2) Er wisse, daß jenes wahr sei und niemand empfinde darüber mehr Kummer als er, und zwar deshalb, weil, während er selbst den größten Einfluß in seiner Heimat und im übrigen Gallien besessen habe jener wegen seiner Jugend ganz wenig gegolten habe und durch ihn emporgekommen sei: diese Machtmittel und diesen Einfluß benutze er nicht nur zur Schwächung seines Ansehens, sondern beinahe zu seinem Verderben.
(3) Er jedoch lasse sich durch Bruderliebe und die Meinung des Volkes bewegen.
(4) Wenn ihm nun etwas zu schweres von Caesar widerfahre, obgleich er selbst diese freundschaftliche Stellung bei ihm einnehme, werde niemand glauben, er sei nicht mit seinem Willen geschehen; die Folge davon werde sein, daß sich des gesamten Galliens Gesinnung von ihm abwenden würde. Als er dies mit mehr Worten weinend von Caesar erbat, ergreift dieser seine Rechte; er tröstet und bittet ihn, seinem Bitten ein Ende zu machen; er weist darauf hin, daß ihm seine Beliebtheit bei ihm so viel gelte, daß er sowohl das Unrecht dem römischen Staate gegenüber, als auch seine persönliche Kränkung seinem Wunsche und seiner Fürbitte gleichsam schenke.
(5) Dumnorix ruft er zu sich; den Bruder zieht er hinzu; was er an ihm zu tadeln hat, legt er da; was er selbst wahrnimmt, worüber sich der Stamm beschwert, tut er ihm kund; für die Zukunft möge er all Veranlassungen zu Verdacht vermeiden; das Vergangene, so erklärt er, verzeihe er dem Bruder Diviacus zuliebe. Dem Dumnorix stellt Wächter, damit er, was er tut, mit wem er sich bespricht, wissen kann.
[21]
(1) An demselben Tage von Aufklärern benachrichtigt, die Feinde hätten am Fuße des Berges eine Stellung bezogen, 8000 Doppelschritte (12 km) von seinem eigenen Lager entfernt, schickte er Leute aus, die erkunden sollten, wie beschaffen die Natur des Berges und wie beschaffen ringsum der Anstieg sei. Es wurde zurückgemeldet, er sei leicht.
(2) Caesar befiehlt dem Titus Labienus, seinem stellvertretendem Legaten, noch während der dritten Nachtwache mit zwei Legionen und unter Führung derer, die den Weg erkundet hatten, den Gipfel des Berges zu ersteigen; was sein Plan ist, erklärt er.
(3) Er selbst rückt noch währen der vierten Nachtwache auf demselben Wege, auf dem die Feinde gezogen waren, gegen sie in Eile an und schickt die gesamte Reiterei vor sich her.
(4) Publius Considius, der als sehr erfahren im Kriegswesen galt und im Heere des Lucius Sulla und danach in dem des Marcus Crassus gedient hatte, wird mit Aufklärern vorausgeschickt.
[22]
(1) Bei Tagesanbruch, als der Gipfel des Berges von Labienus besetzt gehalten wurde, Caesar selbst vom Lager der Feinde nicht weiter als 1500 Doppelschritte entfernt war und, wie er später von Gefangenen erfuhr, weder seine Ankunft noch die des Labienus erkannt worden war,
(2) kommt Considius in vollem Galopp zu ihm gesprengt und meldet, der Berg, von dem er gewollt habe, daß er von Labienus besetzt werde, werde von den Feinden gehalten; das habe er an den gallischen Waffen und Abzeichen erkannt.
(3) Caesar läßt seine Truppen auf den nächsten Hügel rücken, stellt sie in Schlachtordnung auf. Labienus wartete nach Besetzung des Berges auf die Unsrigen und enthielt sich des Kampfes, wie ihm von Caesar befohlen war, nicht anzugreifen, wenn nicht seine Truppen in der Nähe des Lagers der Feinde gesehen worden wären, damit von allen Seiten sie Feinde gleichzeitig angegriffen würden.
(4) Spät am Tage erfuhr Caesar schließlich durch Aufklärer sowohl, daß der Berg von seinen Leuten besetzt gehalten werde, als auch, daß die Helvetier weitergezogen seien und daß Considius, durch Angst erschreckt, was er nicht gesehen habe, als gesehen ihm gemeldet habe.
(5) An diesem Tage rückt Caesar in dem Abstand, in dem er es gewohnt war, den Feinden nach und schlägt 3000 Doppelschritte von ihrem Lager entfernt sein Lager auf.
[23]
(1) Am Tage nach diesem Tage glaubte Caesar, weil überhaupt nur noch zwei Tage übrig waren, bis man dem Heere das Getreide zumessen mußte, und weil er von Bibracte, der weit größten und reichsten Stadt der Häduer als 18000 Doppelschritte entfernt war, für die Verpflegung sorgen zu müssen; er bog von den Helvetiern ab und zog in Eile auf Bibracte zu.
(2) Das wird durch Flüchtlinge von Lucius Ämilius, eines Zugführers der gallischen Reiter, den Feinden gemeldet.
(3) Die Helvetier, sei es, weil sie glaubten, daß die Römer sich aus Furcht von ihnen absetzten, um so mehr, weil sie tagszuvor, obgleich sie die Höhen besetzt hatten, nicht angegriffen hatten, oder sei es deshalb, weil sie darauf vertrauten, daß sie von der Verpflegung abgeschnitten werden konnten, änderten den Plan, machten kehrt und begannen, die Unsrigen von der Nachhut her zu verfolgen und anzugreifen.
[24]
(1) Nachdem Caesar dies bemerkt hat, führt er seine Truppen auf den nächsten Hügel und schickte die Reiterei vor, die den Angriff der Feinde auffangen sollte.
(2) In der Zwischenzeit stellte er auf halber Höhe des Hügels die dreifache Schlachtreihe seiner vier alten Legionen auf, aber oben auf dem Hügel befahl er die zwei Legionen aufzustellen, die er im diesseitigen Gallien ganz vor kurzem ausgehoben hatte,
(3) sowie alle Hilfstruppen, und den ganzen Berg von Menschen dicht zu besetzen und das ganze Gepäck inzwischen an eine Stelle zu schaffen und sie von diesen zu sichern.
(4) Die Helvetier, die alle mit ihren Karren gefolgt waren, brachten ihren Troß an eine Stelle;
(5) in dichtgedrängter Schlachtstellung warfen sie unsere Reiterei zurück, bildeten eine Phalanx und rückten gegen unser erstes Treffen von unten an.
[25]
(1) Caesar ließ zuerst sein Pferd, dann die Pferde aller aus dem Gesichtskreise entfernen, um die Gefahr aller gleich zu machen und die Aussicht zu nehmen, feuerte seine Leute an und begann den Kampf.
(2) Die Soldaten durchbrachen ohne Mühe mit ihren von oben geworfenen Pilen die Phalanx der Feinde.
(3) Nachdem diese gesprengt war, machten sie mit gezückten Schwertern einen Angriff auf sie. Diesen war es für den Kampf ein großes Hindernis, daß, wenn mehrere ihrer Schilde durch einen Pilenwurf durchbohrt und aneinandergeheftet waren, da sich die Eisenspitze umgebogen hatte und sie es weder herausreißen noch infolge der Verhinderung ihrer Linken nicht ordentlich kämpfen konnten,
(4) so daß viele, nachdem der Arm lange geschüttelt worden war, es vorzogen, den Schild wegzuwerfen und mit ungedecktem Körper zu kämpfen.
(5) Schließlich begannen sie, durch Wunden erschöpft, zu weichen, und weil ein Berg in der Nähe war, in einer Entfernung von etwa 1500 Doppelschritten sich dorthin zurückzuziehen.
(6) Als der Berg besetzt war und die Unsrigen von unten nachrückten, griffen die Bojer und die Tulinger, die mit ungefähr 15000 Mann den Zug der Feinde schlossen und der Nachhut zu Deckung dienten, unmittelbar vom Marsch aus auf der ungedeckten Seite an und suchten sie zu umzingeln, und das gesehen habend, begannen die Helvetier, die sich auf den Berg zurückgezogen hatten, wiederum vorzudringen und den Kampf zu erneuern.
(7) Die Römer trugen die gewendeten Feldzeichen nach zwei Seiten: das erste und zweite Treffen, um den Geschlagenen und Zurückgeworfenen Widerstand zu leisten, das dritte, um die Anrückenden aufzuhalten.
[26]
(1) So wurde in einer Doppelschlacht lange und hitzig gekämpft. Als sie die Angriffe der Unsrigen nicht länger aushalten konnten, zogen sich die einen, wie sie begonnen hatten, auf den Berg zurück, die anderen begaben sich zum Gepäck und ihren Karren.
(2) Denn in dieser ganzen Schlacht hat, obwohl von der 7. Stunde bis gegen Abend gekämpft worden ist, einen fliehenden Feind niemand sehen können.
(3) Bis in die tiefe Nacht wurde auch beim Gepäck gekämpft, deshalb weil sie die Karren statt eines Walles entgegengestellt hatten und von dem höheren Orte aus auf die anrückenden Unsrigen schossen und weil einige aus den Zwischenräumen der Karren und Räder ihre Wurfspeere und Wurfspieße von unten her schleuderten und verwundeten.
(4) Als lange gekämpft worden war, bemächtigten sich die Unsrigen des Gepäcks und des Lagers.
(5) Hier wurden die Tochter der Orgetorix und einer seiner Söhne gefangengenommen. Aus dieser Schlacht blieben ungefähr 130000 Menschen übrig, und sie zogen noch in dieser ganzen Nacht ohne Aufenthalt weiter; nachdem der Marsch auch keinen Teil der Nacht ausgesetzt worden war, gelangten sie am vierten Tage ins Gebiet der Lingoner. Da die Unsrigen sowohl wegen der Wunden der Soldaten als auch wegen der Bestattung der Gefallenen einen Aufenthalt von drei Tagen gehabt und ihnen nicht hatten folgen können.
(6) Caesar schickte zu den Lingonen Boten mit einem Schreiben, sie möchten sie nicht mit Getreide und nicht mit etwas anderem unterstützen; andernfalls werde er sie auf dieselbe Weise wie die Helvetier behandeln. Er selbst begann nach Verlauf von drei Tagen mit allen Truppen diesen zu folgen.
[27]
(1) Die Helvetier, durch Mangel an allem bewogen, schickten Gesandte betreffs Unterwerfung an ihn.
(2) Als diese ihn auf dem Marsch getroffen und sich ihm zu Füßen geworfen hatten und er ihnen befohlen hatte, an derjenigen Stelle, wo sie jetzt seien, auf sein Kommen zu warten, gehorchten sie.
(3) Nachdem Caesar dorthin gelangt war, verlangte er Geiseln, ihre Waffen und die Sklaven, die zu ihnen übergelaufen seien.
(4) Während dies zusammengesucht und zusammengebracht wurde und es inzwischen Nacht geworden war, verließen etwa 6000 Mann desjenigen Gaus, der Verbigenus heißt, zu Beginn der Nacht das Lager der Helvetier und zogen in Eile nach dem Rhein und dem Gebiet der Germanen, sei es aus Furcht, daß sie nach Ablieferung der Waffen niedergemacht würden, oder sei es durch die Aussicht auf Rettung bewogen, weil sie glauben mochten, daß bei der so großen Menge der Unterworfenen ihre Flucht entweder verborgen bleiben oder überhaupt nicht gemerkt werden könne.
[28]
(1) Sobald Caesar dies erfuhr, befahl er denen, durch deren Gebiet sie gezogen waren, sie sollten sie aufgreifen und zu ihm zurückführen, wenn sie in seinen Augen gerechtfertigt sein wollten.
(2) Die Zurückgeführten behandelte er als Feinde; die übrigen alle nahm er nach Auslieferung der Geiseln, Waffen und Überläufern als Untertanen auf.
(3) Den Helvetiern, Tulingern und Latovicern befahl er, in die Gebiete, von wo sie ausgezogen waren, zurückzukehren, und weil nach Verlust aller Feldfrüchte in der Heimat nichts mehr war, womit sie den Hunger ertragen konnten, wies er die Allobroger an, sie sollten ihnen Gelegenheit zu Getreide geben, ihnen selbst befahl er, die Städte und Dörfer, die sie eingeäschert hatten, wiederaufzubauen.
(4) Das tat er hauptsächlich aus dem Grunde, weil er nicht wollte, daß der Raum, aus dem die Helvetier weggezogen waren, freibleibe, damit nicht wegen der guten Beschaffenheit des Bodens die Germanen, die jenseits des Rheines wohnen, aus ihrem Gebiete herüberkämen und dann der Provinz Gallien und den Allobrogern benachbart wären.
(5) Den Häduern gestattete er auf ihre Bitte, die Bojer, weil sie durch hervorragende Tapferkeit bekannt waren, in ihrem Lande anzusiedeln; diesen gaben jene Grund und Boden, und später nahmen sie sie in das gleiche Verhältnis von Recht und Unabhängigkeit auf, in dem sie selbst standen.
[29]
(1) Im Lager der Helvetier fand man Listen in griechischer Schrift und brachte sie zu Caesar. Auf diesen Listen war ein Verzeichnis unter Angabe von Namen zusammengestellt, welche Zahl ausgewandert sei von denjenigen, die Waffen tragen könnten und ebenso gesondert die Jugendlichen, die Alten und die Frauen.
(2) Aller dieser Rubriken Gesamtzahl waren 263 000 Helvetier, 36 000 Tulinger, 14 000 Latovicer, 23 000 Rauricer und 32 000 Bojer, unter diesen 92 000, die Waffen tragen konnten.
(3) Die Gesamtzahl war etwa 368 000. Von denen, die in die Heimat zurückkehrten, wurde, als eine Zählung angestellt wurde, wie Caesar befohlen hatte, eine Zahl von 110 000 ermittelt.